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Trotz Freispruchs Vor Gericht? Gericht Prüft Neuregelung

Trotz Freispruchs vor Gericht? Gericht prüft Neuregelung

Karlsruhe (dpa) – Bis vor kurzem galt als eherner Grundsatz im Strafrecht, dass niemand wegen derselben Tat zweimal verfolgt werden darf. Doch eine Gesetzesänderung macht das in manchen Fällen nun möglich. Die Reform ist allerdings so umstritten, dass sich am Mittwoch (10.00 Uhr) das Bundesverfassungsgericht damit befasst.

In der mündlichen Verhandlung in Karlsruhe geht es konkret um den Jahrzehnte alten Mordfall Frederike aus Niedersachsen: Ein Mann wird verdächtigt, 1981 die 17 Jahre alte Schülerin aus Hambühren bei Celle vergewaltigt und erstochen zu haben. Damals konnte ihm das nicht sicher nachgewiesen werden. 1983 wurde er letztendlich rechtskräftig aus Mangel an Beweisen freigesprochen.

Nach einer neueren Untersuchung von DNA-Spuren könnte er aber doch der Täter sein. Im Februar vergangenen Jahres wurde er deshalb erneut verhaftet, im August hätte eigentlich am Landgericht Verden der Prozess beginnen sollen. Doch kurz zuvor verfügte das Verfassungsgericht die Freilassung des Mannes: Es sei offen, ob die Neuregelung verfassungskonform sei. Deshalb kam der Mann frei, bis im Hauptverfahren über seine Verfassungsklage entschieden ist.

Die Änderung der Strafprozessordnung (Paragraf 362) war Ende 2021 in Kraft getreten, beschlossen zu Zeiten der großen Koalition von Union und SPD im Bundestag. Vorher war es nur in wenigen Fällen möglich, ein rechtskräftig abgeschlossenes Verfahren zuungunsten des Angeklagten noch einmal aufzurollen – etwa bei einem Geständnis.

Seit der Reform geht das auch, wenn «neue Tatsachen oder Beweismittel» auftauchen. Die Regelung ist auf schwerste Verbrechen wie Mord oder Völkermord beschränkt, die nicht verjähren. Insbesondere Frederikes Vater hatte lange für die Neuregelung gekämpft. Es stellte unter anderem eine Petition für eine Gesetzesänderung ins Internet, die Zehntausende Unterstützer fand.

Kritiker sehen den zentralen Grundsatz des Strafrechts verletzt, dass wegen derselben Tat ein Prozess nicht noch einmal gegen denselben Verdächtigen aufgerollt werden darf. Selbst Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte beim Ausfertigen des Gesetzes angeregt, dieses wegen verfassungsrechtlicher Zweifel «einer erneuten parlamentarischen Prüfung und Beratung zu unterziehen».

Auch Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hatte nach dem Regierungswechsel im Bund dafür plädiert, die Erleichterung der Wiederaufnahme abgeschlossener Strafverfahren zumindest noch einmal unter die Lupe zu nehmen. Sonst stünde jeder Freispruch unter Vorbehalt, sagte er kurz nach Inkrafttreten des Gesetzes.

Ein Zweck des bewährten Prinzips sei es zudem, Staatsanwaltschaften dazu anzuhalten, einen Fall umfassend aufzuklären und sich sehr genau zu überlegen, wann sie Anklage erheben. Denn das sollten sie eben nur dann tun, wenn sie «überzeugt sind, dass sie genügend Beweismittel gesammelt haben, um zu einer Verurteilung zu kommen».

Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Betroffene im Fall Frederike, seine Grundrechte seien verletzt. Sein Rechtsanwalt Johann Schwenn wollte sich vor der Verhandlung nicht weiter dazu äußern. Der Mandant werde nicht in Karlsruhe dabei sein, kündigte Schwenn an.

Gemäß der einstweiligen Anordnung des Verfassungsgerichts bleibt der Verdächtige bis auf Weiteres unter Auflagen auf freiem Fuß. Er muss sich unter anderem zweimal wöchentlich bei der Staatsanwaltschaft melden und darf seinen Wohnort nicht ohne Erlaubnis verlassen.

Die Angehörigen von Frederike vertritt der ehemalige Bundesanwalt Wolfram Schädler. Er sei zwar nicht beteiligte Partei, werde aber die Gelegenheit nutzen und das Wort ergreifen, kündigte er an. Von der Familie wolle niemand zum Bundesverfassungsgericht kommen.

Die Richterinnen und Richter des Zweiten Senats wollen unter anderem auch die Positionen von Bundesregierung und Sachverständigen hören. Ein Urteil wird erst in einigen Monaten erwartet. (Az. 2 BvR 900/22)

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