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Polizeigewalt, Amtsmissbrauch: Deutlich Mehr Strafverfahren

Polizeigewalt, Amtsmissbrauch: Deutlich mehr Strafverfahren

Hannover (dpa/lni) – Die Zahl der Strafverfahren wegen Polizeigewalt und Amtsmissbrauchs durch Polizisten ist in Niedersachsen während der Corona-Pandemie kontinuierlich gestiegen. Das geht aus einer Antwort des Justizministeriums auf eine Anfrage der Deutschen Presse-Agentur hervor. Allein im vergangenen Jahr gab es 687 Verfahren deswegen – das sind 257 mehr als im Vor-Corona-Jahr 2019.

Insgesamt gab es in den Corona-Jahren 2020 bis 2022 den Daten zufolge 1055 Strafverfahren wegen Zwangs und Missbrauchs durch Polizisten, im Vergleich zu 774 in den drei Jahren davor. Ähnlich ist es bei «Gewaltausübung und Aussetzung»: Während es von 2017 bis 2019 insgesamt 536 Strafverfahren in diesem Sachgebiet gab, stieg die Zahl in den Jahren 2020 bis 2022 auf 726. In beiden Sachgebieten gab es 2022 die meisten Fälle in den vergangenen zehn Jahren.

Zur Anklage kommen diese jedoch so gut wie gar nicht. Bei der Gewaltausübung durch Polizisten traf das im Jahr 2022 auf keinen einzigen Fall zu, beim Amtsmissbrauch waren es auch nur vier Fälle, das entspricht einem Prozent. Laut der Geschäftsführerin der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jana Herzog, liegt das daran, dass die Anschuldigungen häufig ungerechtfertigt seien.

Den Anstieg der Strafverfahren begründete Herzog folgendermaßen: «Die Klagefreude in der Gesellschaft ist insgesamt gestiegen. Im Rahmen der Einsätze der Polizei bei der Überwachung und Durchsetzung der Bestimmungen zur Bewältigung der Corona-Pandemie hat sich dieses Verhalten deutlich gezeigt und an Dynamik gewonnen.» Zudem nehme der Respekt vor der Polizei in Teilen der Bevölkerung ab.

Dafür nehme der Wille zu, «sich gegen den Staat und seine Vertreter mit vielfältigen Mitteln zur Wehr zu setzen, auch wenn es dazu keinen Anlass gibt», sagte die Gewerkschafterin. Zudem gebe es immer mehr Fälle, in denen Polizistinnen und Polizisten mit Smartphones gefilmt werden. Das trage dazu bei, dass auch Unbeteiligte öfter Anzeige stellen. Die Videoaufnahmen erweckten jedoch oft einen falschen Eindruck, weil sie aus dem Zusammenhang gerissen seien.

Pia Scholten, Sprecherin der Grünen Jugend in Niedersachsen, bewertet die Zahlen anders: «Dass die Zahlen von Polizeigewalt in den letzten Jahren stetig gestiegen sind, ist besorgniserregend.» Konservative riefen seit Jahren nach der Ausweitung von Befugnissen für Sicherheitsbehörden in allen Bereichen. Die Zahlen zeigten aber, dass dies keine Lösung sei, sagte Scholten weiter. «Die Zahlen spiegeln nicht wider, dass Fehlverhalten sanktioniert wird», betonte sie. Die Grüne Jugend setze sich daher für eine Kennzeichnungspflicht von Polizeikräften ein, damit Fehlverhalten Konsequenzen hat.

Tobias Singelnstein, Professor für Kriminologie und Strafrecht an der Goethe-Universität in Frankfurt/Main, tut sich mit der Bewertung der Zahlen schwer: «Das Problem ist, dass wir nur das Hellfeld sehen, also die Fälle, von denen wir sicher wissen.» Es könne also sowohl sein, dass es einen Anstieg der Fälle gibt, als auch, dass es nur eine «Aufhellung des Dunkelfeldes» gibt, wie auch die Gewerkschafterin Herzog andeutete. Bemerkenswert ist für Singelnstein jedoch die geringe Anklagequote.

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